Nein, eine Schule fürs Leben!
Ich vermisse es. Dieses unverkennbare Geräusch, wenn Kufen über das „White Ice“ gleiten und feine, glitzernde Eispartikel aufwirbeln, begleitet von Fangesängen, die so emotional sind, dass sie selbst den größten Eisblock mit Gänsehaut vom Sitzplatz reißen.
Laute Jubelschreie und Trommelschläge, die einem durch Mark und Bein gehen und den Puls in Höhen treiben, die man bestenfalls noch vom ersten Date kennt. Sie wollen wissen, wovon ich spreche? Ich spreche von der schnellsten Mannschafts-Sportart der Welt: Es geht um Eishockey.
Faszination pur – von der ersten Minute an
Gerade stehe ich geistig im Stadion eines Oberligavereins, für den ich ehrenamtlich arbeite und ich kann Ihnen sagen: Eishockey ist mehr als eine „Randsportart“, als die sie so oft bezeichnet wird. Eishockey ist eine Faszination, die jeden packt, der sie auch nur ein einziges Mal erlebt hat. Von der ersten Minute an.
Seit mein dreijähriger Sohn Henrik auf der Welt ist, träume ich davon, ihn zur Laufschule zu bringen. Ihm die winzigen Schlittschuhe zu schnüren, ihm den Helm aufzusetzen und das Leuchten in seinen Augen zu sehen, wenn er zum ersten Mal an der Hand eines Profis Eis unter seinen Füßen spürt. Vor mir liegt das bereits ausgefüllte Anmeldeformular und eigentlich würde es in den nächsten Wochen losgehen. Eigentlich. Doch nun ist alles anders.
Eishockey macht stark fürs Leben
Seit Wochen bangen (Profi-)Spieler, Trainer und alle, die den insgesamt 26 Oberligavereinen angehören, um ihre Existenz. Zurecht fragen Sie sich jetzt vermutlich, warum zum Henker ich darüber nachdenke und wieso ich – gerade als Mutter – Werbung für diese „Rüpel-Sportart“ mache. Vielleicht denken Sie: „Eishockey?! Die kloppen sich doch nur. Bucht man da gleich ein Einbettzimmer im Krankenhaus dazu?“ Zugegeben: Ich dachte mal ähnlich. Bis ich erlebt habe, was diese Sportart für Kinder bedeutet. Und ich spreche bewusst von Kindern, denn längst sind es nicht mehr nur Jungs, die wagemutig und kamikazeartig über das Eis preschen.
Während der Sommerpause vor ungefähr zwei Jahren sollte ich ein Interview mit Cory, unserem Nachwuchs-Coach führen. Sein sympathischer kanadischer Slang und sein Kaugummi zwangen mich, genau hinzuhören – doch die Message, die er mit mitgeben wollte, habe ich sofort verstanden: Eishockey ist nicht einfach nur ein Sport. Eishockey ist eine Schule fürs Leben. Kleinkinder lernen hier, sich auf Millimeter-dünnen Kufen auf der glatten Eisfläche zu bewegen – wo sie doch gestern erst ihre ersten Schritte in Schuhen gemacht haben. Sie fallen hin und stehen wieder auf. Sie lernen, sich unterzuordnen und Disziplin zu zeigen – denn Eishockey ist kein gänzlich ungefährlicher Sport. Hier hat Ellbogendenken nichts verloren. Jeder muss seinen Platz im Team finden und sich wie ein Puzzleteil ins große Ganze einfügen. Wer egoistisch sein Ding durchzieht, begibt sich sprichwörtlich auf verdammt dünnes Eis und gefährdet sich selbst und andere.
Starke Charaktere mit Herzblut und Kampfgeist
Eishockey ist wie eine große Familie – man findet dort nicht einfach nur Freunde, sondern eine Gemeinschaft, die mit nichts zu vergleichen ist. In diesem Metier kennt man sich – von Hamburg bis Rosenheim. Diese Welt mag, verglichen mit der Fußballwelt, schwindend klein sein. Doch genau das macht sie zu etwas Besonderem, etwas Individuellem. Hier ist jedes Mitglied eine starke Persönlichkeit, nicht nur eine Nummer. Cory erzählte mir, dass es ihn immer wieder mit Stolz erfüllt zu sehen, wie aus den kleinen tapsigen Anfängern über die Jahre hinweg starke Charaktere ausgebildet werden. Bis dahin ist es ein langer Weg – eine harte Geduldsprobe für Kinder und Eltern. Nicht jeder schafft nach dieser Laufbahn den Sprung in die Profiliga. Doch ich muss Ihnen nicht erzählen, was es bedeutet, diese Höhen und Tiefen gemeinsam zu erleben und zu sehen, wie junge Erwachsene ihr Debüt im Kader der 1. Mannschaft feiern.
Ob nun Eishockey oder Fußball oder jede andere Sportart: Einer der wertvollsten Bausteine eines Vereins ist die Nachwuchsarbeit. Hier investieren Eltern unwahrscheinlich viel Zeit und Herzblut, um eine Mission zu erfüllen: Runter mit den Kindern von der Couch, raus aus der Comfortzone, rein in Action, Fitness, Spaß, Bewegung. Sie denken, Sie kriegen Ihr Kind nicht mehr weg von der Playstation? Fortnite hat euer Leben im Griff? Papperlapapp. Wenn Ihr kleiner Zocker denkt, dass es schon das Größte ist, virtuell durch die Gegend zu ballern, dann ziehen Sie ihm Schlittschuhe an, drücken Sie ihm einen Schläger in die Hand und ab aufs Eis. Der Endorphinrausch, den er im echten Leben erfährt, wenn der Puck im Netz landet, ein ganzes Stadion von den Plätzen springt, sich in den Armen liegt und vor Freude brüllt ist mit nichts zu vergleichen. Das kann kein Videospiel der Welt bieten.
Keine Frage: Kinder wachsen mit digitalen Medien auf – und gerade in Zeiten von Covid19 haben wir alle erlebt, dass sogar Schule nicht mehr ohne Tablet und Zoom-Meeting funktioniert. Aber umso wichtiger ist es, wieder ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen virtueller Phantasiewelt und echtem Leben, in dem man sich körperlich und geistig anstrengen muss, um etwas zu erreichen. In der man sich mit Schweiß und Kampfgeist, zusammen mit seinem Team, etwas Großartiges erarbeitet.
Es lebe der Sport, es lebe das Eishockey!
Fakt ist aber: Diese wertvolle Nachwuchsarbeit kann nur stattfinden, wenn unsere Vereine überleben. Wenn die Stadien gefüllt sind und somit ein geregeltes Einkommen gesichert ist. In den letzten Wochen fing die Erde in den sozialen Medien langsam an zu beben. Erst ganz vereinzelt, ganz leise – doch die Stimmen werden immer lauter. Profisportler, Fans, Hobbyspieler finden sich unter dem Hashtag #hörtunsoderverliertuns zusammen, um für ihre Leidenschaft, ihren Sport – und letztendlich um wichtige Arbeitsplätze zu kämpfen.
Wir dürfen nicht zusehen, wie Vereine mit teilweise langen Traditionen den Bach hinunter gehen. Jetzt ist es für uns an der Zeit, aufzustehen. Und wenn wir eines gelernt haben bei unseren unzähligen Stadion-Besuchen, dann ist es, LAUT zu sein. Laut für unsere Eishockey-Familie, die uns und vor allem unseren Kindern so viel bedeutet.
Karin Bayer im September 2020
Fotos: Corinna Fippl privat